Budapest 2002
Plus: Miskolc. Mit Kurierfahrern unterwegs
August 2002

 

Mit dem Kurier meiner damaligen Firma fahren wir (die Frau und ich) hin, an einem Donnerstag. An der Grenze bei Nickelsdorf ist Halt. Der Fahrer A (Attila) verschwindet im Speditionsbüro, lässt die Ladung verzollen. Wir sind derweil beim Geldwechsel, stehen in der Schlange, hören nur ungarisch um uns herum.
Nachdem alles erledigt ist, rollen wir zum ungarischen Zoll. Heckklappe öffnen. Aus dem Bierkasten unseres Chauffeurs nimmt sich der Zöllner 4 Flaschen, für Eigenbedarf – der Klassiker. Die verplombte Ladung und seine Zollpapiere sind in Ordnung.

Die ungarische Partnerfirma meines damaligen Arbeitgebers schickt regelmäßig 2 Lieferwägen, mit 2 versch. Fahrern hin und her. Das spart Zeit und bringt Geld. Für die Deutschen ist die Frage des Versands somit outgesourct und lohngedumpt …
Ich hatte beide Fahrer unterstützt, z.B. bei mir übernachten lassen, somit hatte ich einen Gefallen gut. Zur M3 nach Miskolc geht der kürzeste Weg mitten durch die Stadt, also fährt A einen kleinen Umweg durch Budapst, setzt uns an einem Hotel ab, das er für uns gebucht hatte. An den Wänden der Altbauten sind alte Vorrichtungen zu sehen, für Fahnen oder für Fackeln.
Abends sitzen wir in unserem schnuckligen Hotelzimmer, essen mitgebrachte Luxus-Stullen (Ciabatta, reich gefüllt). Wir haben keine Lust Geld auszugeben, sind ohnehin auf schmalem Budget unterwegs. Ich trinke ein Fläschchen Dreher Bier aus der Minibar. (Kostet ca. 3 €. Morgen kaufe ich heimlich eine Flasche, billiger, und stelle diese dafür in die Minibar …).

12h in Budapest
Jeder schwärmt von ihr, der weißen Stadt. In der Zeit um 1900 wurde kräftig gebaut, um einen Gegenpol zu Wien zu schaffen.
Wir kommen zur Fischerbastei, dem romantischsten Ort der Stadt. Es ist ein gebautes Stück Mauer, mit einer breiten Treppe nach oben. Viel zu schön, um eine Stadtmauer zu sein. Und völlig unpraktisch, wenn eine Treppe hochführt. Mir wird auch klar warum, als ich den Grundstein sehe. Erbaut 1905, es ist Historismus. Also reine Kulisse.


Die weiße Kuppel der St.-Stephans-Basilika gehört fest zum Stadtbild. Wir schauen vorbei. In der Annahme dass Kirchen frei zugänglich wären. Doch weit gefehlt, der Eintritt kostet. An der Front sind die Köpfe verdienter (reicher?) Männer, inkl. vieler Jahreszahlen aus den 1880ern u.ä.. Also alles Historismus. Gebaut wurde er ab den 1850ern, eingeweiht 1905.


Wir gehen zur Donau, an die Kettenbrücke, setzen uns auf eine Bank. Die Brücke ist beeindruckend, keine Frage. Hoch, lang, massiv – eine techn. Meisterleistung, und die erste feste Donaubrücke im Stadtgebiet. Errichtet in den 1840ern, erneuert 1915.

Ich will unbedingt noch vor zum Parlament schauen, und ein Foto machen, dem Wahrzeichen der Stadt, wenn nicht des Landes, mit seinen gotischen Streben. Der Blick aus der Ferne zeigt mir deutlich: nix gotisch, auch dieses Bauwerk ist Historismus (1885-1904 errichtet, also neogotisch).


Kaffee gibt es in einem hippen Laden. Er ist voll mit beigen Tüchern tapeziert. Wir setzen uns auf Sessel, Sofa, Kissen, lauschen der Lounge-Musik. Der Chef ist emsig und freundlich, gibt sich tiefenentspannt. Wir haben so etwas noch nie gesehen, sind inspiriert und fühlen uns wohl.
Danach schlendern wir durch die Straßen, machen kultige Fotos (wie wir finden). In einem Laden kaufen wir Snacks-und-so. Ich nehme 2 Fläschchen Dreher Bier mit – eins für mich, eins für die Minibar, das Stück für ca. 2 €. Geht doch. Die leere Flasche entsorge ich in der Stadt – bloß keine Spuren hinterlassen. (Das sind meine Billigheimer-Tricks …).

r.u.: Mintgrün macht alles neu


Es beginnt zu regnen, hört nicht auf. Auf einer schmalen Mauer, überdacht, neben Mülltonnen, harren wir aus, etwa eine Stunde. Dann wird es Zeit Essen zu gehen. Wir finden ein preiswertes Lokal in der City. Die Bedienung spricht deutsch (mit Akzent), ist mittelalt und in ein enges Glitzerkleid geklemmt. Alle Bedienungen laufen so herum. Das soll wohl sexy sein, wirkt auf uns eher fragwürdig. Es gibt Schnitzel mit gebratenen Champignons o.ä. zum OK-Preis, und das zählt für uns (damals).
Abends im Fernsehen, in unserem schnuckligen Zimmer, im deutschen TV, sehen wir die Katastrophe. Nicht nur hier regnet es, daheim auch. Glonn ist abgesoffen, aber so richtig. Der Schock sitzt. Glonn ist damals unser Nachbarort. Zwar 5 km weg, durch den Wald, auf und ab, vor allem ab, in einem Talkessel. An einem Bach. Einem Bach. Kein Mensch erwartet dort Hochwasser …

Mit dem Zug fahren wir Tags drauf nach Miskolc. Rufen B (Barnabas) an, den anderen Fahrer, er holt uns ab. Bei ihm bleiben wir über Nacht.
Wir betreten seine Wohnung – und stehen in der Küche.  Zur Begrüßung gibt es Paprikawodka. Frisch gepresster Paprikasaft, mit Wodka aufgegossen, in einem Stamperl (kl. Schnapsglas). Ich exe ihn weg (das beste das man tun kann), schüttle mich und lache. Die Frau riecht daran, reicht mir ihren weiter. Als Frau ist sie entschuldigt, niemand erwartet von ihr das auszutrinken. Also exe ich den zweiten.


Dieses Erlebnis beeindruckt mich so nachhaltig, dass ich 2018 einen Kurzgeschichtenband danach benennen werde …

https://www.amazon.de/Paprikawodka-Expedition-Mittelpunkt-Zwiebel-Cocktail-ebook/dp/B074MRPHRX/ref=sr_1_12?s=digital-text&ie=UTF8&qid=1543157021&sr=1-12

Danach gibt es Suppe mit Brot, wir unterhalten uns, so gut das eben geht. Später gibt es Wein und einen Fernsehfilm aus den Siebzigern. Das Highlight: eine wilde Verfolgungsjagd durch die Prärie, mit Skoda und Wartburg o.ä.. Die Szenen sind weniger rasant als damals im Westen. Etwa 10 Minuten lang geht das so, ohne Worte. Dann gehen 2 Männer aufeinander zu. Der eine grüßt den anderen, auf ungarisch (!), mit den Worten (O-Ton!): „Servus Johann“. Wir schmeißen uns weg.

Wir schlafen unten, im Wohnzimmer. Oben (bei B und seiner 2. Frau) läuft der Fernseher, die halbe Nacht.

Nach dem Frühstück sitzen wir gemütlich in der Küche. Um halb zehn o.ä. kommt A vorbei, mit Crew. Sie machen Besorgungen, da schauen sie mal vorbei. Mit dabei ist u.a. der Werkstattmeister (Kàroly). Es gibt ein großes Hallo, weil wir uns kennen und mögen. Sie stehen in der Küche, rauchen eine. B’s Frau bereitet Obstschnittchen und Likör, wie für jeden Besucher (sehr sympathischer Brauch, wie ich finde).


Ein Tag in Miskolc
B’s Frau führt uns aus. Sie spricht deutsch. Wir spazieren auf den Hügeln um die Stadt, kehren ein. Sehen viele Hochhäuser in der Stadt stehen – die industriell geprägt bleibt.
Gehen einkaufen. Halbwegs günstig sind nur Gemüse, Brot, Käse und Wein. Shampoo, Duschgel & Co. hingegen sind teurer als bei uns. Es sind sogar die gleichen Produkte, hergestellt in Deutschland, auf deutsch beschriftet (nur teilweise mit ungarischen Beschreibungen auf Aufklebern), zum dt. Preis zzgl. Transport.
Wir kaufen Paprikapaste, Käse, Schokolade und Rotwein. Ich (als Biertrinker) mag den ungarischen Rotwein echt gerne, und bei uns gibt es ihn nicht (der schlechte Weißwein, den die Ungarn nicht mögen und zu uns schicken, zählt nicht). Preislich beginnt er bei 3€, geht in 0,50€-Schritten hoch bis zu 5€ – mehr auszugeben ist kaum möglich.

Abends, nach dem Essen, sind wir in der Kneipe. Plastikstühle an Plastiktischen unter grünen Sonnenschirmen. Es gibt ein grünes Bier aus dem Westen (Gösser, Tuborg, oder Heineken, ich weiß es nicht mehr. Irgendeines mit grünem Etikett). B kennt den halben Laden, ich kenne 1-2 Leute aus seiner Firma. Es ist ein Kommen und Gehen, ein lustiger Laden.

Es geht zurück nach Deutschland. 2 (zahlende) Gäste sind dabei. B ist für seinen Rallye-Stil berüchtigt, ich finde seinen Fahrstil halb so wild. Er fährt uns in die Nacht. Irgendwann bleibt er neben der Straße stehen, wirft sich eine Decke über und schläft. Wir versuchen es ihm gleich zu tun. Ich bin froh meine Frau dabei zu haben. Wir lehnen uns aneinander, stützen uns. Das ist romantisch, aber nicht gut. Am frühen Morgen, nach einer Pinkel- und Rauchpause, geht’s weiter. Wien, Linz – wir fahren eine Umleitung, wegen Donau-Hochwasser. Irgendwo in Deutschland machen wir nochmals Pause, um die Mittagszeit (Dienstag) kommen wir bei meiner Firma an. B legt sich schlafen in seinem Transporter, wir fahren heim (und legen uns hin).
Es war ein schöner, interessanter und spannender Ausflug, für den ich sehr dankbar bin.
Das Leben als „outgesourcter und lohngedumpter“ Fahrer ist nicht so frei und toll, wie es scheinen mag – es ist ein harter Job. Eine Fahrt nach Ungarn ist immer (evtl. nach einem Machtwechsel wieder) eine gute Idee.
Vielen Dank für die Gastfreundschaft.

 
Trivia 1:
2004 tritt Ungarn der EU bei. Die Grenzformalitäten entfallen

Trivia 2:   Dreher Bier
Anton Dreher entwickelte 1841 ein untergäriges Lagerbier. Die Methode der kalten Lagerung und Verarbeitung wurde in Bayern entwickelt, war aber nur in England im Einsatz. Dreher war der erste, der die Methode auf dem Kontinent einsetzte. Das Bier aus seiner Schwechater Brauerei (bei Wien) erfreute sich großer Beliebtheit. Als einer der ersten setzte er eine Dampfmaschine in einer Brauerei ein, steigerte die Produktion enorm, die Nachfrage war es schon, so wurde die Schwechater Brauerei die größte des europ. Festlandes.

Heute gibt es:
- Schwechater (Österreich), Brauerei Schwechat. Gehört mittlerweile zu Heineken, verpflichtet sich aber dem historischen Vorbild (ein leicht braunes Lagerbier)
- Dreher (Italien). Gehört ebenfalls zu Heineken, finde ich dennoch nicht schlecht
- Dreher (Ungarn)