Schloss Neuschwanstein
inkl.: Wieskirche, Altenstadt
April 2023
Hinter Wolfratshausen bleibt der Schnee liegen. Mitte April ein wenig ungewöhnlich. Immerhin kann ich mich darüber freuen. Auch über den Anblick des großen Moorgebiets südlich von Murnau. Links
und rechts laufen Entwässerungskanäle direkt neben der B 2 – jetzt bloß nicht von der Straße rutschen. Aus der tiefen Ammerschlucht wabern Wolken und Nebel hoch auf die Echelsbacher Brücke, es
hat etwas von einem Horrorfilm.
Im Peramarta in Wildsteig ist das Meiste hausgemacht: Pralinen, Kuchen, Suppen, Sandwiches – das schmeckt man auch. Noch reden die Leute hier (ober-) bayrisch. Die Wieskirche ist nur 10
Auto-Minuten nebenan. Wr fahren mit meiner Ma und ihrem Gefährten.
Wieskirche
Eine große und bekannte Rokokokirche mitten im Nichts – wie reimt sich das zusamm´?
Im Jahr des Herrn 17430 hatten ein paar Leute ,für die anstehende Karfreitagsprozession’, eine Figur des gegeißelten Heilands angefertigt. So richtig lebensecht, mit leidendem Ausdruck,
Schürfungen und mit Blutspuren, die echt aussahen. Für die Macher top, für alle anderen etwas zu realistisch und schrecklich. Also hatten sie eine neue, harmlosere Figur angefertigt. Die
ursprüngliche kam auf den Dachboden des Wirtshauses, später zur Bäuerin Maria Lory.
Eines Abends, beim Abendgebet, konnten sie Tropfen im Gesicht dieser Figur erkennen. Unzweifelhaft waren es echte Tränen (Tau, kondensierte Luftfeuchtigkeit, durchs Dach gesickerte Wassertropfen
etc. werden es schon nicht gewesen sein). Klar, dass das Grund genug für eine Wallfahrt ist.
Dass Wallfahrten damals gerade groß in Mode kamen, hatte die Bedeutung des Ortes schnell bekannt gemacht. Also musste eine angemessene Kirche dafür her, im Stil der Zeit: Rokoko. In erstaunlich
kurzer Zeit (wie ich finde) war der Bau entstanden: 1745 - 1754.
Bemerkenswert ist, dass es sich um „astreinen“ Rokoko handelt, da der Bau von Grund auf, also „aus dem Nichts“, entstanden ist. Oft gibt es ja Vorgängerbauten aus Gotik oder Barock, die
überarbeitet werden. Da hier zuvor nichts gestanden hatte, lässt sich die unverfälschte Idee des Rokoko entdecken.
Eintritt: frei
Parkplatz: Automat mit Münzeinwurf (ca. 1,50 EUR für 2h, o.ä.)
Wir umfahren das mächtige Ammergebirge weiträumig, das Werdenfelser Land (Oberbayern) vom Allgäu (Schwaben) trennt.
Ein paar Kilometer weiter sind wir woanders. Das Logo zeigt es uns: Allgäu.
In jedem Ort gibt es Käsehütten. Wir halten an einer und kaufen ein paar Stücke. Der Dialekt ist unverkennbar, wir sind woanders. Im Allgäu.
Am Forggensee ist wenig los. Im Sommer kommen Ausflügler und Familien.
Der tiefe Wasserstand kommt daher, weil er zum Winter abgelassen wird. Nach dem Winter kommt die Schneeschmelze, viel Wasser kann ankommen und Überschwemmungen verursachen. Um dies zu verhindern,
wird im Forggensee vorab Platz dafür gemacht.
r.u.: 3 Getränkekästen auf den Traktor, und den Einkauf heimfahren
Die Tagestouristen sind weg. Wir drehen eine Ehrenrunde im Abendlicht, am Fuße der Königsschlösser. Andere Wege zum Hotel sind derzeit gesperrt. Auf den Bergen ist der Schnee liegengeblieben. Es
ist angenehm ruhig. Und die Gegend wirklich total schön.
Meine Meinung zum Schloss stand vorab fest: alles doof, Historismus-Kack, Steuerverschwendung vom Feinsten. Von einem senilen König, der in seine Traumwelten abtaucht, anstatt die Staatsgeschäfte
ernst zu nehmen. In einer Zeit, als große Umwälzungen anstanden. Klar, dass die Preußen nachhelfen mussten, um ihn aus dem Weg zu schaffen. Ich lag damit weit daneben.
r.o.: St. Coloman. Bekannt von Kalendermotiven uvm.
Steht neben der B 17. Parken direkt davor ist möglich, die Kirche aber meist zugesperrt.
l.o. + u.: auf der Colomanstraße, in Richtung Hohenschwangau
Neuschwanstein
Eine blonde Einheimische mittleren Alters, historisch trittsicher und tiefenentspannt, führt uns mit ihrer ruhigen Art durchs Schloss. Ich bin positiv überrascht. Und erfahre pikante Details, die
mich interessieren. Ihr zolle ich wirklich großen Respekt.
Los gehts mit den ‚Schattenseiten‘:
- Das Schloss war nicht zur Regierung gedacht, sondern als Aufführungsort für Musik. Thematisch ist es den Sagen gewidmet – Minnesängern, Rittern und dem Mittelalter. Besondere Ehrung sollte
Richard Wagner erfahren. Dieser hatte jedoch Schulden und war deshalb öfter mal untergetaucht. König Ludwig II. hatte ihm dafür ein paar Aufträge zugeschanzt.
- Die Entwürfe des Schlosses stammen von einem Theatermaler, die ein Architekt umsetzen sollte. (Eine undankbare Aufgabe, da Künstler wenig Rücksicht auf Statik nehmen).
- Da die Finanzierung durch den König immer wieder ‚Erholungspausen‘ brauchte, ist bis heute nur ein kleiner Teil der Räume fertiggestellt.
- Der Thronsaal wurde erst nachträglich als solcher umgesetzt. Da er sich im 2. (3. ?) Stock befindet, und Stufen aus Marmor beinhaltet, mussten darunter nachträglich dicke Stahlträger eingezogen
werden, um das Gewicht zu tragen.
- Der Kandelaber besteht aus vergoldetem Messing, mit Einsätzen aus böhmischem Buntglas. Er hängt nicht nur, sondern kann per Seilzug bis zum Boden herabgelassen werden (als der einzige bekannte,
bei dem das möglich ist).
- Der ganze Saal ist mit byzantinischen Mosaiken, bzw. Malereien in diesem Stil, ausgestattet. Das einzige das fehlt, ist ein Thron.
Denn das Schloss war nie als Regierungssitz, noch zur Selbstverherrlichung gedacht. Einzig im Sängersaal gibt es einen Hinweis auf den Erbauer. Zuerst sieht man dort, über beiden Türen, das bayr.
Staatswappen aus dieser Zeit. Und nur dort ist ein dezenter Hinweis auf Ludwig II angebracht.
Zwischen beiden Sälen gibt es eine Grotte, wie sie bereits in Linderhof realisiert worden war. Das war damals voll in.
Neuschwanstein war das 3. Schloss von König Ludwig II. Es gibt auch einen Hinweis auf das 4. Schloss: Falkenstein. Das ist ebenfalls in dieser Ecke, nur wenige Hügel weiter. Dieser Neubau wurde
nie realisiert, heute ist dort ein edles Restaurant zu finden.
Im Sängersaal besteht das Gemälde der ‚Bühne‘ aus einer Waldszene aus dem Parzival. Diese hat uns fasziniert. Wer Trickfilme schaut, oder Computerspiele zockt, dem kommt das vertraut vor. Bis
heute ist da nicht viel Unterschied. (Leider kein Foto, da fotografieren verboten ist)
Berichten aus dieser Zeit zufolge war der König eher nachts denn tags wach, ließ um die 600 Kerzen anzünden, und sang Opern. Angeblich fühlte er sich dabei ins Mittelalter zurückversetzt. Deshalb
gab es Bemühungen, ihn deswegen als geisteskrank und somit regierungsunfähig erklären zu lassen.
Für das Schloss wurde allerdings nur sein Privatvermögen verwendet. Den Regierungsgeschäften kam er nach so gut er konnte. Wichtige Dokumente hatte er sich von seinen Ministern erläutern lassen,
um das Land und dessen Politik nicht zu vernachlässigen. (Diese beiden Punkte hätte ich komplett falsch eingeschätzt …).
Nachdem der zweite Versuch seiner Festnahme im Juni 1886 geglückt war, und es auf Schloss Berg am Starnberger See gebracht worden war, wurde er 1 Tag später tot im See aufgefunden. Punkt.
Diese Formulierung wurde von unserer Fremdenführerin bewusst gewählt, da die Umstände bis heute unbekannt sind.
Das pikante Detail: seine Familie ließ umgehend alle Arbeiten am Schloss einstellen.
Schloss Falkenstein blieb Fantasie.
Meine Theorie, der preußische Geheimdienst stecke dahinter, kann ich somit widerrufen. Ludwig hatte die Preußen, bei ihrem Vorhaben den zersplitterten deutschen Staat wieder zu errichten, stets
unterstützt.
Meine Frau trifft vermutlich ins Schwarze. Nachdem Ludwig erst seine private Kasse, später womöglich die Finanzen der Familie sinnlos verpulvert, hatten sie die Notbremse gezogen.
Auch möglich ist Selbstmord. Alten Sagenfiguren gleich (= seinen Vorbildern) ins Wasser zu gehen …
Wie gesagt: jede Theorie ist blanke Spekulation – bis heute.
Im Schlossrestaurant, ein paar hundert Meter bergab, ist der Service fest in ungarischer Hand. Der Schichtleiter, mit gekämmtem schwarzem Haar, Schnauzbart und Kellnerweste, sieht aus wie zu
besten K&K Zeiten. Dass es sprachlich für das Personal nicht ganz einfach ist, verstehen wir. Wir bekommen das Falsche, was aber mehr als wett gemacht wird. Anstatt mich zu ärgern, bewundere
ich den Mut der jungen Leute, in einem anderssprachigen Land im Service zu arbeiten.
Zuvor hatten wir am Kiosk, mit der Aussichtsplattform auf das Schloss, Zeit vertrödelt und Leute beobachtet. Unser Highlight: ein älteres Paar aus Asien, eher Südasien (ich tippe auf Singapur),
hatte sich Pudelmützen gekauft. Anorak und Sonnenbrille runden das Winter-Outfit ab. Er steigt auf die Schneereste, deren Haufen noch einen halben Meter aufragen. Dort machen sie dramatische
Winterbilder, in dieser extremen Bergwelt.
(Dass wir, als Einheimische, unsere Winter-Klamotten schon lange abgelegt haben, weil Schneereste wenig mit Winter zu tun haben, sage ich besser nicht). Sind es nicht genau diese Nuancen, die uns
fremde Menschen sympathisch machen einander näher bringen?
Wir fahren gleich rüber zum Schlossbrauhaus in Schwangau. Der Service ist perfekt und aufmerksam, das Essen sehr fein und das Bier hausgemacht. Ich als Fahrer bekomme, als ‚Trinkgeld‘, den
4er-Pack Flaschenbier für Zuhause.
Der Morgen danach
Wenn hier einer noch Spaß hat, bin ich das (Running Gag). Unsere Heimfahrt führt uns auf der B 17 hoch zur Autobahn, vorbei an Schongau und Altenstadt. In Altenstadt steht eine romanische
Basilika, die wir noch anschauen wollen. (Ich war schon 2x hier, mehr Bilder findet ihr hier: LINK
Altenstadt
Eine alte Römerstraße führt von Augsburg nach Italien. Hier wurde ein Markt eingerichtet, bzw. das Marktrecht verliehen. Die Stadt hieß: Schongau.
‚Markt‘ heißt im Mittelalter: in der Regel waren es Städte, die das Marktrecht verliehen bekamen. Reisende Händler durften ihre Ware nicht einfach verkaufen, sondern nur in ‚Märkten‘. Die Stadt
konnte die notwendige Infrastruktur stellen, z.B. den Handel bewachen. Hieß praktisch: Steuern eintreiben, und weiter nach oben abgeben. Mit den einbehaltenen Teilen wurden diese Städte
reich.
Was macht man mit all dem Reichtum, wenn man ihn privat nicht einsacken kann? Man baut zuerst ein Rathaus, danach eine Kirche – mit der man allen zeigt, was man draufhat. So auch in Altenstadt,
die Kirche entstand im 12. Jh., im Stil der Zeit: romanisch.
Im 13. Jh. war der Handel abgewandert, rüber auf den Fluss (der Lech). Die Leute sind mit gezogen, 2 km nach Osten, ans Wasser. Dort entstand eine neue Stadt: Neue Stadt Schongau, Neuenstadt
Schongau, kurz: Schongau.
Die alte Stadt blieb zurück. Ihr Name: Alte Stadt Schongau, Altenstadt Schongau, oder einfach: Altenstadt. Die Basilika fiel in einen Dornröschenschlaf, die eigentlich unvermeidbare
Barockisierung blieb ihr erspart.
Deshalb steht bis heute, tief im Süden Bayerns, eine romanische Basilika, wo es so etwas eigentlich gar nicht mehr gibt. Das ist schon etwas Besonderes.
Danach brauchen wir ein Heißgetränk. Es ist Sonntag, es ist später Vormittag, wir sind tief in Bayern. Wir finden: den Frühschoppen. Der Laden ist voll, es ist laut, Männer spielen Karten,
trinken Bier, fachsimpeln laut. Und gleich nebenan ist der Sportplatz. Es kommt uns vor, wie ein Zeitsprung von 50 Jahren. Dass es so etwas noch gibt … *nostalgisch werd*
Für die 2 war es ein Abenteuer.
Für uns ist es die normale Art zu reisen und zu entdecken.