Paris – "Kultur-Tor-Tour"
Oktober 2005
Stadt der Liebe, schmuddeligen Hotels, Feinschmecker und Lebenskünstler? Genau!
Zwischen Nord- und Ostbahnhof (in der nordöstlichen Cité) laufen gerade mehr Schwarze als Weiße herum. Von ihnen kann man sich eine ruhig-entspannte Lebenshaltung abschauen
…
Das Hostel empfängt uns mit einem gemütlichen Kneipenraum, unser Doppelzimmer besteht aus einem Stockbett. Ein WC und eine Dusche (kaltes Wasser, aus dem Schlauch) müssen fürs Stockwerk (ca. 40
Personen) reichen. In der Küche wollen ab 18:00 alle an eine der beiden Herdplatten (deshalb kochen wir vorab). Das ist damals unser Budget (DZ 50€). Eine gepflegte Unterkunft ist in Paris
einfach eine Frage des Preises …
Am nächsten Morgen, um 08:45, stehen wir vor dem Louvre. Die Warteschlange besteht aus 5 Leuten, 2 davon sind wir. Vor uns: ein älteres amerikanisches Paar. Hinter uns: eine amerik.
Einzelreisende. Sie hört uns reden: irgendwas Europäisches. Sie hört das Paar, bittet dieses um ein Foto von sich, schon waren sie im Gespräch – und zwar: über unsere Köpfe hinweg, uns
ignorierend. Wo sind sie her, wo sind die Irish Pubs?
Hätte uns einer der 3 beachtet, hätten wir sie vorgelassen. Aber so? Tja.
Amerikaner kommen gerne nach Paris, für sie ist es der Inbegriff von Europa. (Dass andere ähnliche Erfahrungen mit ihnen gemacht haben, wie wir oben, erfahren wir erst
später)
Der Louvre ist das größte Kunstmuseum der Welt, mit vielen Exponaten der Ägypter, Ptolemäer, Etrusker, Assyrer, Perser, Babylonier, und noch
vieles, vieles mehr.
Man kann den ganzen Tag dort zubringen (inkl. essen), und das tun wir auch. Danach brauchen wir nicht mehr viel, aber das ist es absolut wert.
M.l.: Transport von Holz aus dem Libanon, Chorsabad, um 706 v. Chr.
l.u.: Amor und Psyche, 1793, Antonio Cavova
Überraschung: der Rezeptionist unseres Hostels ist Österreicher, mit ihm unterhalten wir uns (oder umgekehrt?). Ja, die Amerikaner: wenn sie in die Küche des Hostels kommen, teilt sich die Küche
sehr schnell. In Amerikaner, und Nicht-Amerikaner.
Als wir kochen, sind wir Europäer unter uns. Es geht ruhig zu, beiläufig fragt man andere, woher sie kommen. Italien, England, Finnland, Frankreich – keiner „dominiert“ die Küche … Ein junger Typ
an der Herdplatte fragt mich nach meiner Herkunft. Ah cool – er fährt auch noch nach Deutschland. Woher kommst du? Er? Kommt aus Kanada. (Verhält sich keinen Deut anders als die Europäer, fällt
gar nicht auf unter ihnen … Mir wird immer deutlicher: Kanadier sind keine Amerikaner).
In der Früh werden wir von der Müllabfuhr geweckt, die jeden Tag (auch sonntags!) um 07:00 Uhr Früh kommt. Mülltrennung ist damals noch ein Fremdwort, und die Tonnen sind abends schon wieder
voll.
l.o.: Ile de la Cité
r.u.: in La Defense
Die „Zuckerbäckerkirche“ von Sacre Coeur, (1876-1905), lockt Touristen magisch auf den Hügel in Montmartre. Klar dass Jugendgruppen davor herumlaufen und lustige Spiele machen.
Dieses hieß wohl „Fotomodels sammeln“ . Sobald jemand, meist die Frau, vor der Kirche fürs Foto posiert, kommen 3-4 Jungs angerannt, knien sich mit Knipse vor sie hin, feuern sie an (heißt wohl:
gib alles! o.ä.), und machen ebenfalls Fotos.
Als wir uns genug amüsiert haben, gehen wir durch die Kirche und erwischen die Abendandacht. Zum Gesang der Nonnen wandeln wir auf und ab.
Wer lieber alte Kirchen mag, vorzugsweise Gotik, ist in Paris richtig.
Wir fahren in eine Banlieu, den Vorort St Denis. Dort steht „Der Prototyp“.
In den Straßen sieht es abgerockt aus, die Läden haben noch zu (um 11:00?), oder für immer geschlossen?
Auch wenn sie von außen nach Romanik oder einer Burg aussieht, innen ist die Kathedrale von St Denis der erste gotische Bau. (Die Normannen fordern diesen Titel ebenfalls für
sich).
Abt Suger setzte beim Umbau auf die neue Gotik, das war in den 1130ern (bei uns noch tiefste Romanik!). Im Keller (6€ Eintritt) liegen alle franz. Könige begraben, der Kirchenraum ist
gratis.
Auch wenn es von außen nur bruchstückhaft nach Gotik aussieht: der Innenraum ist komplett im neuen Stil gestaltet – und zwar durchgängig.
Nachdem es hier mit dem Innenraum so gut geklappt hat, konnte sich „der französische Stil“ (später „Gotik“ genannt) ausbreiten. Der nächste Bau war übrigens Notre Dame – die Kirche gilt als die
erste durchgängig gotisch gebaute.
Anmerkung: bis zum 12. Jh. „recycelte“ man gerne, d.h. man baute neue Kirchen auf die Mauern der alten. Erst danach ging man dazu über, von Grund auf neu zu bauen (steigender allgemeiner
Wohlstand?).
u.: in den Straßen von St. Denis
Die Saint Chapel darf genauso wenig fehlen. In der Früh (09:00) da sein lohnt sich. Auf der Île de la Cité, wo es aussieht wie eine Burg (Palais de la Cité, an der Westspitze), dem Schild folgen. In den ausgemalten Unterbau, der fürs Volk war. Dort die enge Treppe hoch, in den königlichen Bereich. Aus der Burg kam der König mit Gefolge hier in die Kapelle. Sie ist ein einziger gotischer Raum, hoch aufragend und mit bunten Fenstern - allerdings o-h-n-e Seitenschiffe, heißt: ein Raum ohne Säulen. Also hinsetzen und schauen. Die bunten Fenster (zum Großteil noch original) laufen rundum, Decke und Säulen sind bunt (dunkelblau und purpur) bemalt. In der Früh ist es noch ruhig, und entsprechend angenehm.
Über den Blumenmarkt kommt man ans Westende der Insel, zu Notre Dame, einem der ersten gotischen Neubauten (ab 1160er).
Wie oben geschildert: nachdem der Innenraum von St Denis den neuen Stil aufzeigte, hatten die Pariser die erste „richtige“ Kirche im neuen Stil gebaut. Nicht irgendwohin – sondern ins Herz ihrer
Stadt.
Auch wenn viele Touristen nur Fotos der Hauptfassade machen, sollte man sich die Zeit nehmen, und einmal ins Innere schauen (der Eintritt ist frei), und auch ein mal herum, um z.B. das mächtige
Strebewerk zu bestaunen. (Experten rätseln, ob diese Technik sogar hier erfunden wurde).
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Einschub Gotik: Die Normannen in Rouen behaupten selbstsicher, die Gotik erfunden zu haben. Sie hoben das Gewölbe, um mehr Platz für Fenster zu haben, damit es innen angenehm hell wird (!).
Welch Gegensatz zur Schullehre, dass es um himmelstrebende Architektur ging, die einen klein und unbedeutend erscheinen lassen soll …
Am Mont St Michel behaupten sie ebenfalls, als erste gotisch gebaut zu haben.
Doch Abt Suger bekommt von Historikern die Ehre zugesprochen, ob nun abgeschaut oder nicht, als erster eine ganze Kirche durchgängig damit erbauen zu lassen.
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Noch eine kuriose Kirche gefällig? Saint-Eustache
Aus dem 16. Jh., spätgotisch mit Renaissance-Elementen gemischt. Eine wilde Mischung, die ich noch nie, und auch sonst nirgends mehr, gesehen habe.
Saint-Severin
Im sog. Flamboyant-Stil, einer Ausprägung der Spätgotik. Deutlich verspielter als die „reine Gotik“. In Frankreich und BeNeLux verbreitet, auch in Paris – aber wir können nur
eine davon anschauen (wg. Aufmerksamkeitsspanne).
Seit dem 6. Jh. stehen hier Kirchen, die allesamt nicht lange standen. Ab 1450 wurde der heutige Bau errichtet. Nicht zuletzt die Ausmaße des Baus sind kurios: 50m lang, 34m breit, 17m hoch (also
ungewöhnlich klein und niedrig).
Zur Kaffeepause gehen wir meist in eine „Bar Tabac“. Dort gibt es Kaffee, kühle Getränke, oft auch Zigaretten und Briefmarken zum Kauf. (Cafe Creme 2-3 €)
Abseits der Hot Spots kann man auch in eins der vielen alten Cafes gehen, für seinen Cafe Creme (groß oder klein).
Wer auffälligem Belle-Epoque-Chic, und/oder dem Schild „Capuccino only 5€“ folgt, ist selbst schuld.
Damit nicht genug an Kultur. „Schließlich sind wir nicht zum Spaß hier“, so der Running Gag.
Im Musee D‘Orsay hängen die Impressionisten, also deren Bilder, in einem alten Bahnhof. Das macht Laune, ist nicht so aufwendig und man ist
in 1-2h durch. Das grüne Stahlgerüst der Halle passt gut dazu. Für mich ist es eines der besten Museen überhaupt.
Das Museum Guimet zeigt eine beeindruckende Sammlung ostasiatischer Kunst, mit vielen Exponaten aus Südostasien (vieles aus Kambodscha) und China.
Das Marais ist das arabisch-jüdische Viertel. Die Moschee von 1923 vermittelt Orient-Flair, im Viertel sieht man viele Juden (mit Bart und Hut) und kann koscher
essen und einkaufen.
Mittagessen? Kabab, oder Kebab, bei Mitbürgern arabischer Herkunft. An sich schon dick genug. Kommt mit Pommes, das ist französisch. Ohne Pommes – das geht nicht.
„Outdoor“ gefällig? Der Friedhof Père Lachaise ist eine riesige Anlage, mit alten Steinen und Gruften und Gräbern vieler Prominenter, man kann endlos schlendern. Ein Ort hier
zieht Rocker und Hippies magisch an: Das Grab von Jim Morrison.
Die Grufties findet man im Souvenir-Shop der Katakomben. Als die Pest wütete, brachten Mönche die Knochen der Verstorbenen nach unten, in ein Tunnelsystem. Immer wieder sieht man
Stapel von Knochen, mit Schädeln dekoriert.
An der Bastille hängen übrigens die Punks ab, auf der Treppe des Bastille-Theaters, von aussen eine moderne „Blechdose“.
In der Bar quer über „unsere“ Straße endet unsere Kultur-Tor-Tour. Ein Schwarzer ruft uns auf dem Weg irgendeinen Witz zu. Franzosen sind ein lustiges Volk (aber schwer zu verstehen). Ein Loch im
Fenster bringt Luftaustausch, wir sind die einzigen Fremden hier, fühlen uns aber gut aufgehoben.
Blieb noch ein Spaziergang durch den Regen, am Fuße des Montmarte. In einem der Sex-Shops wurden Szenen für „Die wunderbare Welt der Amelie“ gedreht (ein kleines Schild weist darauf hin), die
Lichter des Moulin Rouge spiegeln sich in den Pfützen, Reisebusse bringen die nächsten Touristen.
Den Charme der Belle-Epoque muss man in Paris nicht suchen. Wer mit offenen Augen herumläuft, findet alles – und noch viel mehr.
Bonjour Tristesse
Nach 5 Tagen Kultur hängen wir auch nur noch so herum ...
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Trivia
Die Idee zu „Grusel Fusel“ entstand hier. Die Kurzgeschichte war ab 2007 ein erster Achtungserfolg, und auf mind. 3 Websites zu lesen (zwischenzeitlich sind diese Seiten wieder eingestampft).
Aber es gibt ein ganzes Album:
https://www.amazon.de/Geisterbr%C3%A4ute-Heute-Robert-K%C3%B6nigshausen-ebook/dp/B00HKZW6BE/ref=sr_1_2/260-9734015-9284867?s=digital-text&ie=UTF8&qid=1545920113&sr=1-2
Der Schriftsteller Ödön von Horvath kam 1938 auf dem Champs Élysées ums Leben, durch einen herabstürzenden Ast, während eines Gewitters. Eine Tafel erinnert an
ihn.
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Paris für Selbermacher:
Hinkommen: per Flugzeug oder Bahn. Vom Flughafen Charles-de-Gaulle gute Zugverbindung (RER) ins Zentrum, alternativ Flughafenbus zum Arc de Triomphe (und dort in die Metro).
Mit dem Auto: rate ich entschieden ab. Zu viel Verkehr, zu wenig Parkplätze.
Herumkommen: mit der Metro, keine Frage.
Unterkommen: online buchen, und die Ansprüche herunterschrauben. Aber ganz ehrlich: in Paris hockt man nicht in der Bude, sondern schläft dort nur.
Wer es gepflegt mag: ab ca. 100 EUR pro Nacht
Zeitrahmen: wir blieben 5 Tage. Die reichen nicht für Alles. Doch irgendwann ist man nicht mehr aufnahmefähig. 5-6 Tage finden wir optimal.
Sprachlich: einfach etwas franz. aneignen, wie: Guten Tag, bitte, danke, die Rechnung bitte, ich spreche kein französisch, entschuldigen Sie bitte, sprechen Sie englisch?, vielen Dank, auf
Wiedersehen.
Dann sollte einer Verständigung auf englisch nichts mehr im Wege stehen.
Bitte: nicht auf englisch beginnen, das mag Manchem ignorant erscheinen. Einfach auf französisch etwas stammeln, hauptsächlich dass man die Sprache nicht kann, sich aber immerhin etwas Mühe
gibt.
Vorurteile: Leider ist das Vorurteil noch sehr verbreitet, Franzosen mögen uns nicht, man werde nicht bedient etc. Alles Käse!
Mein Lieblingsnachbar meinte: sie haben ein Bild im Kopf vom Durchschnittsdeutschen: er sei ein reicher Sack, der mit dickem Auto ankommt, nur das Beste will, aber nie zufrieden ist und sich
noch. beschwert.
Wenn man jung und/oder unkompliziert ist, sich des Lebens freuen und lachen kann, hat man nie Probleme.
Nach ca. 10 Frankreich-Reisen kann ich das nur voll bestätigen. Wir hatten nie Probleme. Oft genug bot man uns englisch zur Verständigung an.