Lost in Argentina

 

 

"Kellner"
In irgendeinem Restaurant an der Ruta 3,
Provinz Río Negro oder Provinz Buenos Aires


2x bife de lomo medium mit Pommes, 1x bife de lomo medium mit Reis, 1x gut durch mit Pommes, 1x Gemüse-Omelett, 2x Rotwein, 1x Weißwein, 1 Bier bitte. Alles klar.
Der Kellner schreibt es fleißig auf, bedankt sich, verschwindet.
Nach drei Minuten kommt er zurück an den Tisch, hat Fragen. 3x bife medium und 1x gut durch?
Nein: 2x medium und 1x gut durch.
Ach so, alles klar.
Zwei Minuten später die nächste Rückfrage. Wie oft Rotwein, die Pommes zu was?
Ah ja, alles klar.
Eine dritte Nachfrage hat er noch. Reis war mit bife medium oder gut durch? Ah ja, alles klar.
Er serviert Getränke und Besteck. Der Weißwein fehlt. Er wiederholt die Kombinationen, mit Bezug zur Person. Das Gemüse-Omelett fehlt komplett. Ah ja, alles klar.
„Aber er schreibt doch alles auf!“, wundert sich A.
„Vielleicht kann er gar nicht schreiben?“, stelle ich meine Vermutung in den Raum.
„Aber was schreibt er dann?“, interessiert C.
„Irgendein Gekritzel?“
„Wozu?“
„Weil es gut aussieht? Weil es jeder Kellner so macht?“, schlage ich vor.
„Als Analphabet würde ich nicht gerade Kellner werden!“, entrüstet sich A.
„Es ist aber gar nicht mal die schlechteste Wahl“, amüsiert sich C.

Mein Steak kommt medium, anstatt gut durch – und mit einem Glas Rotwein, anstatt Bier. Kurz ärgere ich mich, da ich es ihm oft genug wiederholt hatte. Da alle schon am mampfen sind, mache ich einfach mit.
„Nicht die schlechteste Wahl“, brabble ich, mit vollem Mund.

 

 

"Hotel"
Irgendwo an der staubigen Ruta 40, Provinz Santa Cruz


Wir haben eingecheckt und Zimmer bekommen. Irgendwo in Patagonien, in einem Nest, mitten im Nichts. Die Betreiber sprechen Spanisch, wenn auch eher schlecht. Das wäre nicht weiter schlimm, wären unsere Sprachfähigkeiten nicht weit schlechter als deren. So ist die Kommunikation ein wenig erschwert.
Kurz hatte ich überlegt, ob ich auf Serbokroatisch umsteigen soll, da ich vom Arbeitskollegen ein paar Brocken aufgeschnappt hatte – allerdings waren das meist Schimpfwörter. Als sachdienliche Option kam das nicht mal ansatzweise in Betracht. Der Name der Betreiber, sowie das allgegenwärtige Rot-weiße Karo-Wappen ließen kaum Zweifel an der Herkunft der Familie. Sogar den Gratis-Kugelschreiber des Hauses zierte das kroatische Staatswappen.
Ich verstehe gut, wenn man sich fern der Heimat gern an diese erinnret. Und hoffe inständig, dass mir nicht noch Lederhosen und Blasmusik begegnen.
(Gerüchten zufolge gibt es das doch in Argentinien. Die LP heißt dann etwa „Nos somos nosotros“, also: „Mir san mir“.)

 

 

"Brauer"
La Cervecería Chaltén, in El Chaltén


Eine böhmische Bierstube kommt uns genau recht! So schön und perfekt hier auch alles ist, so verdächtig ist es auch. Unser Hostel ist superchic, aus Naturholz, alles neu und bio, der Ausblick auf die verschneiten Berge der Anden einfach überwältigend. Der Monte Fitz Roy ist nur ums Eck, und wir haben ihn heute schon gesehen, als wir die Berge hoch gewandert sind. Wir können selber kochen und mit Öko-Spüli abwaschen. Nur 2 Details fehlen uns: 1) Bier, oder 2) eine Bezugsquelle in Fahrweite. (Das Bergsteiger-Publikum hier lebt eher gesund).


Böhmisches Schwarzbier, hausgemacht, vom Fass? Wo ist denn da die Frage.

Wir haben die Böhmische Bierstube im Ort gefunden, der tschechische Braumeister und Besitzer serviert hier perönlich.
Er erkennt unsere Sprache, gesellt sich kurz zu uns, spricht deutsch – der tschechische Akzent stört nicht weiter. In München hat er mehrere Jahre gelebt, zu Beginn der Fünfziger Jahre, erzählt er uns. Was ihn hierher verschlagen hat, konnten wir nicht herausfinden. Mehr Gäste kommen herein, er ist beschäftigt.
Eine Frage treibt ihn noch um, als er bei uns vorbeischaut: „Habt ihr die Stadt wieder aufgebaut, oder stehen die verkohlten Trümmer noch überall herum?

 

 

"Schloss"
Das Zimmer bitte im Voraus bezahlen. Nach drei Wochen im Land ist dies das erste Mal, aber er sollte es haben. So ist das in Amerika, meint der Betreiber.
Unsere Wertsachen können wir in einen der Spinte legen, und unser Vorhängeschloss verwenden. Ihr habt keins? Na, dann fahrt doch zu W**Mart, oder einem der anderen Märkte, und kauft euch eins. Das werdet ihr noch öfter brauchen. Auf unsere Wertgegenstände Acht geben – das sollten wir schon. Hier ist es gefährlich. Hier kann man auch mal erschossen werden. Hier ist Amerika. Yeah!
Seine Kinder kommen vorbei, schauen uns an. Boah, echte Deutsche! So sehen die aus? Und die haben echt keine Ahnung von der Welt?

Meinen Geldbeutel hatte ich die Nacht über im Nachtkästchen, neben meinem Kopf, wie üblich. Ich habe keine Ahnung, in welchem Amerika er geistig lebt. Wir waren in Puerto Madryn, Provinz Chubut, Argentinien. Da war es nicht gefährlicher, als im restlichen Land.

Haben Sie Puerto Madryn schon bei Nacht gesehen?