Lost in Beijing 1
(in einer Markthalle, um eine Markthalle herum)

 

 

Durch einen Vorhang aus dicken, schweren, transparenten, geschlitzten Gummimatten geht es rein. Wie in ein Flaschenlager, oder den Kühlraum einer Metzgerei. Fünf Meter dahinter nochmals, so ergibt sich eine Kälteschleuse.
Drinnen ist es warm und hell, überall sind Marktstände und Menschen. Durch eine Markthalle zu schlendern kann inspirierend sein. Wir sehen uns um.
„Kaufe Hemd!“, ruft uns die erste Verkäuferin zu, an deren Stand sie nur Hemden verkauft.
„Hab schon eins“, erwidert C frech.
„Kauf mehr! Kauf mehr!“
Es ist nicht möglich, länger als zwei Sekunden Hemden anzuschauen, ohne angesprochen zu werden. „Gefällt dir dieses hier? Kostet nur ... Wieviel willst du dafür zahlen?“ Schon ist man mittendrin, und der Kauf wird erwartet. „Don’t even fix a price“, geht mir ein alter Liedtext durch den Kopf. Der Stand umspannt etwa 2 auf 2 Meter.
Daneben geht es weiter, mit einem Stand für Krawatten, einem für Hosen, einem für Schuhe, einem für Geldbörsen, und so weiter.
Amerikanische Touristen sind in der Markthalle. Sie finden alles ganz toll, und die Preise echt OK. Somit liegt das Preisniveau bei mehr als dem Doppelten der chinesischen Preise, und keiner der Händler in der Halle ist bereit, seine Preise zu senken.

Auf und ab, ab und auf, meine Begleiter schauen und handeln. Für mich gibt es keine ruhige Ecke. Egal wohin ich schaue, überall will mich ein Verkäufer in ein Verkaufsgespräch verwickeln.

 

 

Mir wird es zu blöd. Ich nehme den hinteren Ausgang, durch 2 Stufen Gummivorhang, vor die Halle, um frische Luft zu holen. Neblig und kalt ist die Luft zwischen den Plattenbauten, nur wenige Autos fahren die Straße entlang.
Von schräg gegenüber hält eine Frau mittleren Alters auf die Markthalle zu. Ich gehe langsam auf und ab und merke, dass sie mehr auf mich zuhält, denn auf die Halle. Drei Meter vor mir bleibt sie stehen. „Wolle Massage?“, fragt sie mich. „Nein danke.“ Sie wartet ab. „Massage?“ Wieder ein Nein von mir.

 

 

Das wird mir zu blöd, und ich gehe wieder rein. Nicht mal hier draußen, auf einer fast leeren Straße, hat man Ruhe. Drinnen geht es weiter. „Hello Mister!“, und „Wolle kaufen? Ist guter Preis!“
Ein Dosenbier oder ein Tresen mit Ausschank wäre jetzt schön. Ich wäre bereit, dafür Geld auszugeben, auch ohne zu handeln. Nicht mal gegen ein nachgemachtes Maxlrainer, von Produktpiraten gefälscht, hätte ich was. Doch wohin ich auch schaue – es gibt nur Kleidung und Accessoires, die mit bekannten Namen aufwarten, und exklusiv scheinen. Überall nur Hemden, Krawatten, Hosen, Schuhe, Accessoires, ...

 

 

Anmerkung
Weil ich meinen Geldbeutel verloren hatte, musste ich mir hier einen kaufen – einen „edlen“ von „Gucci“ (oder einer Piratenmarke).
Nach 4 Wochen Gebrauch habe ich mir in Deutschland einen neuen besorgt. Bei dem von „Gucci“ hatten sich fast alle Nähte gelöst, was bei Geldbeuteln nicht so sachdienlich ist. (Auch das sah mir eher nach Produktpiraterie aus).
    Der deutsche hat 12 Jahre gehalten. Selbst dann hatte sich noch keine Naht gelöst.



Anmerkung 2
Diese Begebenheit ist wahr.
Dramaturgische Elemente, oder fiktive Handlungen, hielt ich für unnötig. Es ist so schon absurd genug, finde ich.

 

 

Vollständiger Reisebericht:

https://wortlaterne.jimdo.com/reiseberichte/china-peking-shanghai-2002/