Berg am Laim

(München, Juni 2021)

Zwei kleine Juwelen verstecken sich im Münchner Osten:
- St. Michael Kirche Berg-am-Laim
- Ökologische Vorrangfläche Baumkirchen Mitte (eine Art Lost Place)

Eine große Barockkirche, die sich versteckt, und Zentrum eines Ritterordens war – und eine Art Lost Place mit alten Gleisen, warten auf ihre Entdeckung.

 

How to make:
Am Besten mit den Öffentlichen.
Parken ist ein Glücksspiel:
- St. Michael: viele enge Straßen und vollgeparkt
- Gleise: beim Gewerbegebiet um die Neumarkter Straße, dort wochentags ebenfalls zugeparkt.
Wir haben beim Michaelibad geparkt (P+R, 1,50 EUR/24 h = Pauschale). Von dort ein entspannter Rundweg zu Fuß von 2 - 2,5 h Dauer.


Ökologische Vorrangfläche Baumkirchen Mitte
Etwa um 1893 entstand der Rangierbahnhof München-Ost, ab 1924 um das Bahnbetriebswerk erweitert. Die Kapazitäten gerieten mit der Zeit an ihre Grenzen. So hatte die Bahn 1987 beschlossen, den vorhandenen Rangierbahnhof München-Nord auszubauen, der in Folge zu einer der modernsten Rangierbahnhöfe wurde, und ein Bahnbetriebswerk mit unterhält. Die Anlagen in M-Ost wurden somit obsolet, und 1992 wurde der Betrieb eingestellt. Das aktive Gleis Richtung Osten verläuft gleich daneben, Züge sind somit genug zu beobachten.

Die alten Hallen sind leider nicht mehr zu sehen, wurden und werden abgerissen und das Areal dem Naturgesetz der Gentrifizierung geopfert. Das westliche Ende jedoch wurde konserviert und zugänglich gemacht. Durch den Gleisschotter, der den humusarmen Boden bedeckt, entstand eine „Magerrasen“-Landschaft, die manch bedrohter Tierart eine neue Heimat gibt.

 

 

Seit 2019 ist dieser Bereich der Öffentlichkeit zugänglich. Ein „Boardwalk“ aus aufgebockten, breiten Steinplatten führt durch das Gelände, und bietet so manchen Abstecher. Die alten Gleisanlagen, inklusive der alten Drehscheibe, sind noch vorhanden, und geben dem Park den herrlichen Charme von Industrie und Verfall, kombiniert mit einem kleinen Paradies. Die „versprochenen“ und seltenen Schrecken sehen wir leider nicht, dafür 2 Turmfalken und viele Eidechsen. Und das mitten in München? Verrückt.

Bitte diesen Weg nicht verlassen. Die Natur dort ist empfindlich. Alle alten Anlagen sind von hier aus zu sehen. Wir haben uns dran gehalten – alle Fotos sind vom Weg aus entstanden.

 

Wir sind bei der Hermann-Weinhauser-Str. rein, dort ist der eine Eingang zum Gelände.

 

M.: die alte Drehscheibe

u.: bitte auf den Wegen bleiben. Von dort aus sieht man wirklich alles. Und der Weg ist breit und schön gemacht, wie man sieht.

Diese Häuser sind auf dem Gelände des ehem. Rangierbahnhofs entstanden. Hier ist auch der eine Eingang zum Gelände (Hermann-Weinhauser-Str.).



St. Michael (Berg am Laim)
Eine große Barockkirche in einem Park, für manchen die schönste Kirche Münchens, die man erst suchen muss – das ist schon ungewöhnlich genug.

Die Siedlung „Berg“ ist seit dem 8. Jh. belegt, und sie lag, wenn ich es richtig verstanden habe „am Lehm“ (was über die Jahre zu „am Laim“ wurde). Der Münchner Osten war dünn besiedelt; weil es Lehm gab, entstanden viele Ziegeleien. (München liegt links / westlich der Isar, das Wachstum konzentrierte sich zuerst dort drüben.)

Die „Josephsburg“ (Vorgängerbau) stand alleine und isoliert, an 2 Straßen, außerhalb der Stadt.
Joseph Clemens gründete 1693 zwei Orden, die dem Hl. Michael gewidmet sind:
1 Bruderschaft für geistliche Belange, auch Laien zugänglich; und 1 Ritterorden, nur Adligen zugänglich. Für beide werden Mitgliedsbeiträge fällig.

Ein Ritterorden, 16-irgendwas? Ist das nicht ein bisschen sehr spät?
Ja und Nein. Die großen Ritterorden waren tatsächlich im 10./11. Jh. entstanden, zur Zeit der Kreuzzüge (Templer, Malteser, Johanniter, etc.).
Und die „Schlacht von Mühldorf“ 1322 gilt als die letzte Ritterschlacht überhaupt.
Um 1600 schreibt Cervantes seinen „Don Quijote“, als Parodie auf die Ritter und deren veralteten Ideale.

Zur Barockzeit hatte diese Idee ein Comeback und Revival erlebt. Die Gesamtsituation:
- die Türken erobern den Balkan, stehen vor Wien, bedrohen das Abendland
- Der Protestantismus breitet sich weiter aus
- Und die Aufklärung kündigt sich auch schon an
Verkürzt gesagt sehen sich die neuen Ritter als:
- Verteidiger des Abendlandes
- Beschützer des rechten Glaubens
- Bewahrer der Alten Ordnung

Ob sie auch selbst in den Kampf gezogen sind, wie die Ritter auf den Kreuzzügen, oder nur diskutiert, gebetet, Prozessionen veranstaltet und gespendet haben, konnte ich nicht zuverlässig herausfinden.

So darf es nicht verwundern, dass Joseph Clemens aus der Josephsburg eine Barockkirche von Weltrang, als Hauptsitz des Michaelsordens, schaffen wollte.
Mit Johann Michael Fischer ist einer der großen Baumeister seiner Zeit am Werk. Doch mitten im Werk wird er ersetzt, die Bauleitung wird dem Maurermeister Köglsperger übertragen – vermutlich auf Geheiß von Francois Cuvilliés, der sich am Hof großer Popularität erfreut, und Fischers Pläne bereits überarbeitet hatte.

Wer war Joseph Clemens von Bayern?
Geboren 1671 in München, Wittelsbacher, als Zweitältester für eine geistliche Laufbahn vorgesehen – obwohl er lieber Soldat geworden wäre. (Politische Ämter und Thronfolge gingen an seinen großen Bruder Max Emanuel)
Er wurde Erzbischof und später Kurfürst von Köln, hielt sich überwiegend dort auf, förderte mit Geldern aus diesen Ämtern auch Bauvorhaben in seiner bayr. Heimat. Mit seiner französischen Geliebten hatte er 2 uneheliche Söhne – obwohl er seit seiner Bischofsweihe keine Beziehung mehr mit ihr unterhielt (was dem Alter der Kinder nach nicht stimmen konnte). Kunst und Kultur waren ihm wichtig, so unterhielt er eine Hofkapelle, und gab gerne standesgemäße Empfänge.

Ihr meint, Barock wäre ein alter Hut?
Na, dann schaut euch doch mal in eurer Firma um. Posten und Titel sind überaus wichtig, die Führungsriege feiert sich gerne selbst. Wenn Probleme auftauchen (die meist „zu real“ sind), müssen sie meist ganz schnell ins nächste Meeting (um sich dort selbst zu inszenieren?). Und wie das mit den heimlichen Liebschaften ist, wenn sich das-mit-der-Arbeit-heute abends in die Länge zieht o.ä., das will ich besser nicht so genau wissen.
Netzwerke, z.B. in Sozialen Medien, erfreuen sich großer Beliebtheit. Ob es dabei um zu erwartende Vorteile für den nächsten Karriereschritt geht, oder um eine gute Sterbestunde und Fürsprache beim Jüngsten Gericht – das ist wohl eher dem jeweiligen Zeitgeist geschuldet. Dass beides mit „Connections“ leichter ist, steht für die Teilnehmer dabei außer Frage. Ich persönlich kann da wenig Unterschied erkennen … So viel anders als zu Barockzeiten sind wir heute (leider) nicht.

Ein exklusiver Orden oder Club, der nicht jeden aufnimmt und Mitgliedsbeiträge kostet (die ihn noch exklusiver machen)? Auch das erfreut sich heute Beliebtheit.

Der Michaels-Orden wurde übrigens in der Folge zu einem Verdienstorden, der in Bayern bis zum Ende der Monarchie 1918 verliehen wurde.
Die „Bruderschaft“ hingegen existiert noch, widmet sich allerdings anderen Aufgaben als damals, hauptsächlich karitativer Art (z.B. Sterbebegleitung).

 

l.o.: das große Dach, das zur Anfangszeit immer wieder Probleme bereitet hatte, ist gut zu erkennen. Und die Parksituation in unmittelbarer Nähe. Und kaum zu glauben, dass das mitten im Stadtgebiet sein soll

l.u.: Das Schwert im Herzen, mit tausend Schmerzen.

 


Ach ja: Der Bau 1738 - 1751
Die Baugeschichte, und vor allem die Querelen unter Einzelnen, die bis zur Fertigstellung nicht enden, lesen sich sehr verwirrend. Immer wieder werden Spenden gesammelt, steht der Bau vor dem vorzeitigen Ende. 1758 erst wird die Fassade aus Ziegel verputzt, bereits 1761 sind erste Ausbesserungsarbeiten notwendig. Vor allem die große Dachfläche bereitet immer wieder Schwierigkeiten.

Kurfürst Max Emanuel lässt München und das Umland durch mehrere schnurgerade Straßen, Kanäle und Alleen verbinden. Sein Bruder Joseph Clemens möchte dabei auch St. Michael an eine der Straßen angebunden wissen, was ihm der Bruder allerdings verwehrt.
Obwohl St. Michael weit außerhalb der Stadt liegt, ist die Kirche von der Stadt aus zu sehen. Also wird den Erbauern klar, dass die Fassade eine hohe Sichtbarkeit braucht. Eine Doppelturmfassade ragt weit auf. Das angrenzende Kloster reiht sich links und rechts um den Bau (wie bei El Escorial, was St. Michael auch den Beinamen „Bayr. Escorial“ einbringen wird).


Der Westfassade, also der nach München hingewandten Seite, kommt große Bedeutung zu. Hier ergibt sich ein Verdacht, warum Fischer als Baumeister abgelöst worden war: seine Entwürfe galten als zu feinsinnig. Hier ging es um die „Fernwirkung“. Großflächig angelegte Flächen sind dazu besser geeignet. Nach oben geschwungene Turm-Gesimse, aufgesetzte „Laternen“ und hohe Turmhauben, die die Türme optisch höher erscheinen lassen, unterstreichen diese Wirkung nochmals deutlich.

Der Innenraum ist nach Fischers Leitthema gestaltet: die Verschmelzung von Längs- und Zentralraum. Er besteht aus mehreren Räumen, die sich optisch zu einem Zentralbau zu verschmelzen scheinen.
Ausgestaltet wurde der Innenraum von Johann Baptist Zimmermann, und steht im Übergang vom Barock zum Rokoko.
Eine kleine Überraschung (die ich vor Ort nicht verstanden hatte) stellt der Hochaltar dar. In der 20-jährigen Planungsphase hierzu wurde ein verschnörkelter, mit Baldachin überdachter, spätbarocker Entwurf von Feichtmayr aus Kostengründen verworfen. Stattdessen bekam Johann Baptist Straub den Zuschlag, der eine reduzierte Version vorgelegt hatte, die bereits Einflüsse des Klassizismus aufweist. Erst 1771 wird er abgeschlossen, und beinhaltet das Bild (St. Michael als Sieger über Luzifer), das Andreas Wolff bereits 1694 hierfür gemalt hatte, also knapp 80 Jahre zuvor (und das währenddessen nur provisorisch aufgestellt gewesen war).
Wenn das nicht alles verrückt ist?

Heute steht der Bau, von der Straße abgewandt, von Baumreihen umgeben, neben einem Park, leicht zu übersehen, und irgendwie auch ohne seine eigentliche Bestimmung. Kaum ein Tourist verirrt sich hierher.
Wenn das nicht bald die Kriterien für einen „Lost Place“ erfüllt?

Donnerstag Vormittag wegen Putzarbeiten geschlossen.
(Das weiß ich, weil wir an einem DO Vorm. da waren.  Die Innenaufnahmen habe ich später          auf dem Rückweg gemacht.)


Historische Quellen:
- Kirchenführer St. Michael in München Berg am Lamm, Kunstverlag Josef Fink, ISBN 978-3-95976-158-1, vor Ort erhältlich (5 EUR)
- Quis ut Deus, eine Festschrift zum 300-jährigen Bestehen der Erzbruderschaft St. Michael, herausgegeben vom Diozösanmuseum München und Freising 1993/1994 (keine ISBN, lag vor Ort aus, zum Mitnehmen). (Das kann ich im Winter lesen, und vielleicht ein paar Kuriositäten entdecken?)

 

ANHANG

 

 

#Achtsamkeit #lostplace

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