München - Ramersdorf Perlach
Kuriositäten auf den zweiten Blick
(Frühestens - ich habe länger gebraucht)
Eine Collage (Dez. 2017, sowie 2019 + 2020)
Bereits die alten Kelten hatten hier gelebt. Das gilt ja nahezu für jeden Ort im südlichen Deutschland sowie für halb Europa, und ist auch für den einwohnerstärksten Münchner Bezirk nichts
Besonderes. Eine Keltenschanze ist schon eher eine Erwähnung wert.
ABER: eine Keltenschanze mitten im urbanen Raum, bequem zugänglich für jedermann, anstatt in dichtem Wald versteckt – das gibt es wohl nur hier.
Oft schon bin ich daran vorbei gegangen und habe sie nicht bemerkt. Wenn ich meinen Vater besuche, auf dem neuen Südfriedhof. Erfahren hatte ich davon ganz zufällig – im Kirchenführer der nahen
St. Michael Kirche wird sie erwähnt. Auf der Internetpräsenz des Friedhofs über muenchen.de auch – wenn man danach sucht. Auch vor Ort sieht man das Schild erst, wenn man schon reingelaufen ist
(zumindest mir ging es so).
u.: das gleiche Foto wie darüber. Mit der weißen Linie habe ich die Mauern der Schanze markiert. Denn auch auf den Fotos, die die Keltenschanze direkt zeigen, ist sie schwer zu erkennen.
Das ganze Gelände hat etwas von einem Park. (Ein Friedhof, der auch als Park genutzt wird – das hatte ich sonst nur im Ruhrpott gesehen.) Die Gänse sind fester Bestandteil: Grau- und Kanadagänse,
und an Menschen gewöhnt. In und auf dem See gibt es auch immer was zu sehen.
l.o. Möwe? Seeschwalbe?
r.o.: Saatkrähe. Ist nicht sooo häufig ...
M.: Kanadagänse
u.: epic Stockenten
Maria Ramersdorf
Rühmt sich als ältester Marienwallfahrtsort im Großraum München.
Und ein paar Kuriositäten sind damit auch verbunden.
Vor 1022 war die erste Kirche entstanden, die um 1315 als Filialkirche von Perlach romanisch neu gebaut wurde.
Kaiser Ludwig der Vierte schenkte der Kirche einen Kreuzpartikel (ein kleines Stück des Holzes aus dem Kreuz, an das Jesus genagelt wurde – zumindest glaubten alle daran), die Freisinger Bischöfe
spendeten einen Ablass bei Besuch. Heißt: Wallfahrer, die hierher kommen, können eine Verkürzung der Leidenszeit im Fegefeuer erwirken, für sich oder für Angehörige. So erklärt sich die wachsende
Beliebtheit bei Wallfahrern, so dass 1399 ein gotischer Neubau beschlossen wurde. Ohne Wallfahrt lässt sich der Neubau nicht erklären, denn Ramersdorf bestand damals nur aus 4 Höfen um die Kirche
herum. 1692 entstand das Gasthaus Alter Wirt zur Verköstigung der Wallfahrer. Es besteht heute noch.
Ein Streit um den Freisinger Bischofsstuhl hatte auch den Bau dieser Kirche wesentlich beeinflusst und für ein weiteres Kuriosum gesorgt.
Das Dach der neuen Kirche war eine hölzerne Halbtonne (selbsttragend), wie sie im Veneto üblich waren. Bischof Nicodemus della Scalia, aus der Familie der Scaliger, war familiär mit Verona
verbunden. Diese Lösung finden wir bis heute bei San Zeno Maggiore in Verona ( LINK ).
Johann III. Grünwalder hatte sich zum Gegenbischof aufgerufen und ihn gestürzt. Um das Erbe seines Vorgängers auszumerzen, ließ er die Holzkonstruktion abreißen, und ein Ziegeldach mit steinernem
Kreuzrippengewölbe bauen (wie hierzulande üblich). Schade eigentlich …
Doch auch so gibt es Kurioses. Die Kirche ist komplett von einer Mauer umgeben. In diese Mauer sind das Torhaus sowie die Mesnerwohnung integriert. Das ganze Ensemble ist ein wenig erhöht, und
thronte früher als eine Art Kirchenburg auf dem flachen Land. Bis heute liegt das Ensemble des „heiligen Bezirks“ leicht erhöht, wenn auch erst erkennbar, wenn man direkt davor steht (durch die
Bebauung des Stadtbezirks). Natürlich wurde die Kirche, wie sollte es in Bayern auch anders sein, im Barock renoviert und umgestaltet – dennoch ist der gotische Grundentwurf deutlich zu erkennen
(und spätgotische Altarbilder im Inneren zu besichtigen).
l.o.: deutlich ist hier der eingefasste Bezirk mit der umlaufenden Mauer zu sehen
r.o.: das Torhaus
darunter: um die Kirche herum, die Gebäude sind innerhalb der Mauer und gehören zum Ensemble (Wallfahrerhäuschen, Mesnerhaus, Torhaus)
2.v.u.l.: nachbarockisierter Innenraum
2.v.u.r.: armes Opfer mit ungesunder Hautfarbe (grün)
u.: alte Geschäfte und Schriften gleich nebenan
Das moderne Perlach (Neuperlach)
Neuperlach war einmal die größte Baustelle der Republik, Ende der 1960er/Anfang 70er. Die wachsende Bevölkerung der Stadt sollte in einer Satellitensiedlung untergebracht werden. Moderne
Hochhäuser schufen Wohnraum, mit der neuen U-Bahn konnten die Bewohner abends noch schnell in die Innenstadt, um am kulturellen Leben teilzunehmen, ins Restaurant oder eine Kneipe zu gehen. Wenn
man direkt neben der U-Bahn-Station wohnt, ist das auch ganz nett. Für alle anderen, also fast jeden hier, ist das eine echte Aktion, die man abends nach der Arbeit nicht so einfach unternimmt,
zu lang zieht sich die ganze Fahrt inkl. Umsteigen. Also entstand allmählich so etwas wie eine Wüste (böse Zungen sagen „Ghetto“), fast ohne Freizeitangebote, wodurch viele Jugendliche auf
schiefe Bahnen gerieten … das kennt man ja. Erkan und Stefan haben das mit ihren Radiostückchen humorvoll aufgezeigt (nicht der Film, der hat eine dümmliche Komödie draus gemacht).
Das PEP-Einkaufszentrum war ein ernstgemeinter Versuch, Einkaufs- UND Verweil-Möglichkeiten (Gastronomie) hier anzusiedeln. 1981 wurde es eröffnet und bald schon erweitert. Im
Neubau wurde 1989 eine Glaskuppel mit 24 m Durchmesser aufgesetzt, damals eine der größeren freitragenden Glaskuppeln. Heute ist es, nach Ladenfläche, das größte Einkaufszentrum in München.
Vorbei die Zeiten, als der Ghettoblaster auf dem Tresen des McDonalds im Sommer coole Rap-Musik bis ins Freie, teils bis runter zum U-Bahnhof geblasen hatte (ohne dass sich jemand beschwert
hätte);
Vorbei die Zeiten, als Einkaufswägen überall wild herumstanden (in Zeiten vor dem Wagenpfand);
Vorbei die Zeiten, als Jugendliche sich auf dem Vorplatz zusammenrotteten, es teils zu Schlägereien kam, während im Windschatten munter Drogen verkauft wurden. Mitte der 1990er hatte die Polizei
dort aufgeräumt.
Ich glaube allerdings, dass es erst steigender allgemeiner Wohlstand war, der die Leute von der Straße brachte … Hachja, Nostalgie …
Ich parke auf dem obersten Stockwerk des alten Parkhauses (Parkaus Süd), und sehe mich um. In die adventlich beleuchtete Glaskuppel; zu den Balkonen der extrahohen und runden Wohnanlage um den
Theodor-Heuss-Platz (bei Anfahrt von Süden bereits von Weitem auf der A 8 erkennbar); hinab in die Straßenschluchten. Deutlich zu erkennen ist die Serbisch-Orthodoxe Kirche an der Putzbrunner
Straße, die seit 1992 ein wenig „exotisches“ Flair in den Stadtteil bringt.
o.l.: coole (?) Straßenschlucht
2.v.u.l.: die Serbisch-Orthodoxe Kirche
2.v.u.r.: die große Glaskuppel, eine der größeren "wo gibt", adventlich beleuchtet (zumindest darunter)
u.: wie die Kulisse eines apokalyptischen Zombiefilms wirkte das Parkhaus im Dez. 2018
Gehen wir fast dahin zurück, wo unser Streifzug begann:
St. Michael Perlach
Pfanzeltplatz
Hier sieht es ein wenig städtisch aus. Altbauten aus der Gründerzeit säumen die Kurve am Platz. Der Hachinger Bach wurde in den 1990ern renaturiert.
Die Kirche St. Michael ist so etwas wie die kirchliche „Zentrale“ des Viertels, auch wenn sie nicht danach aussieht. Der markante Turm ist von Weitem zu sehen und unschwer zu erkennen, doch die
Größe des Gebäudes sieht nicht danach aus. An Entwürfen hatte es nie gemangelt, nur an Geld.
Seit 1315 ist Perlach Pfarrsitz, und Ramersdorf, ja Ramersdorf, mit seiner lukrativen Wallfahrt, eine Filiale. Die romanische Kirche aus dem 11. oder 12. Jh. wurde noch 1709 auf einem Bild
verewigt, immer wieder renoviert und ausgebessert, bis es irgendwann gar nicht mehr ging. Eine ganze Reihe von Plänen wurde aus Geldmangel abgelehnt. 1726 standen endlich Pläne und Finanzierung,
so dass 1728 mit dem Abriss der alten und dem Bau der neuen Kirche begonnen werden konnte, 1731 war der Bau fertiggestellt, im Inneren noch ziemlich roh. Die Innenausstattung zog sich noch über
ein paar Jahrzehnte dahin.
Dass die alte Umfassungsmauer fehlt, ist einer Modernisierung von 1902 zu verdanken, als der neue Friedhof (heute Alter Friedhof) an der Putzbrunner Straße, gleich neben der heutigen
Serbisch-Orthodoxen-Kirche, eröffnet wurde, und das Gelände um die Kirche herum nicht mehr als solcher benutzt wurden. Die Mauer fiel, der Vorplatz wurde aufgelockert und neu gestaltet, und so
ist es noch heute.
Ausklang
Mein Heimweg führt am Hachinger Bach entlang, vorbei an der legendären Forschungsbrauerei (die ihr eigenes Bier braut und sich großer Beliebtheit erfreut), nach Unterbiberg. Hier ist eine weitere
Keltenschanze (die ich nicht gefunden habe). Den Bezirk Ramersdorf-Perlach sowie das Münchner Stadtgebiet habe ich verlassen.
St. Georg
Auch hier finden wir ein Ensemble aus Kirche, Friedhof und Umfassungsmauer, direkt am Hachinger Bach, mit einem gemütlichen Vorplatz. Ungewöhnlich klein wirkt der Bau, mehr wie eine
Kapelle.
Über die Geschichte des Baus ist wenig bekannt. 1163 wird erstmals eine Kirche in „Biburg“ erwähnt, 1186 dem Kloster Tegernsee unterstellt, 1632 brennt sie ab. Auch hier geht es lange hin und
her, zwischen Sanierung und Neubau, Plänen und Finanzierungen. 1725 wird mit einem Neubau begonnen, der 1729 aus Geldmangel zum Stillstand kommt. Der Turm steht noch nicht. Erst in den
Folgejahren wird der Bau fortgeführt und abgeschlossen. Ob er so geplant gewesen war, oder einen Kompromiss darstellt, konnte ich leider nicht herausfinden. Genauso wenig, warum das Ensemble
direkt neben dem Hachinger Bach steht. Bei der Sanierung von 1955 wurde übrigens auch das Mauerwerk getrocknet (ob ein Zusammenhang bestand?).
St. Georg war eine eigene Pfarrei, die für Unterbiberg, unterstand dem Kloster Tegernsee. 1804 kam sie zu St. Michael Perlach.
2.v.o.l.: das Dunkle da, vor der Mauer, als Lücke im Laub - das ist der Hachinger Bach, der direkt neben dem Gebäude verläuft.
M.l. und darunter: auch hier, im Umfeld der Kirche, wirkt es wie eine Zeitsenke ...
M.r.: damals ist eine Gruppe Gänse in V-Formation über mich hinweg geflogen (die vom Friedhof ???)
r.u.: ein kleines Kuriosum darf auch hier nicht fehlen
Alle diese Kirchen wirken auf mich persönlich, wie ein eigenes Ensemble aus einer anderen Zeit. Als habe sich die Welt um sie herum grundlegend verändert, nur sie sind Inseln, die sich nicht davon beirren lassen. Wenn das kein Anlass für eigene Erkundungen ist?
#Achtsamkeit
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Ein lustiges und kurzweiliges Buch, dessen Handlung überwiegend in diesem Stadtteil spielt.
Hier fühlt es sich für junge Leute weit draußen an. Zu weit weg von der Innenstadt, die Ämter weit verstreut und mit langer Anreise verbunden, für Jugendclubs und pädagogische Einrichtungen nicht prekär genug ... "Alleingelassen" ist das Lebensgefühl, das zu einer DIY-Mentalität führt.