München, alternativ
Ein Tag in der Stadt: Giesing // ehem. S-Bahnhof Olympiapark
(#lostplace)
Oktober 2021
GIESING
Gans Woanders
Pilgersheimer Str., Ecke Kupferhammerstr.
Am Anfang war ein alter, verwaister Kiosk, sowie das Projekt- und Action-Team von „Gans am Wasser“. So oder ähnlich ist der Gründungsmythos, den ich auf der Homepage finde
https://www.ganswoanders.de/
Und tatsächlich sind wir gleich ganz woanders. Im Wunderland, in einem Baumhaus, oder sonst wo. Es wirkt wie ein riesiges Baumhaus, und ist auch eins. Weit erstrecken sich die Sitzgelegenheiten.
Der Boden wechselt öfters sein Niveau, so ist das in Baumhäusern. Drinnen stehen alte Möbel und Geräte wild zusammengewürfelt, und machen die Räume nostalgisch und gemütlich. Es ist so schön,
dass man am liebsten hierbleiben möchte.
Das Einzige, das hier an die Normalität erinnert ist, na? -richtig: das aufgebockte Gleis der Güterzüge, die fast direkt an den Plätzen unterm Baum vorbeiführt. Der Kolumbusplatz ist nur wenige
Meter weit weg …
Unten kauft man sich Kaffee und Kuchen, oder sonstwas, bezahlt gleich, und sucht sich seinen Platz. Für Bedienungen wäre das Ganze einfach zu weitläufig … Und neben dem Tresen steht ein
Kunst-Automat, der für 1 EUR Überraschungen in Plastikdosen anbietet. Klar, dass ich das ausprobiere. Ich kann das Magazin drehen, um mir eine Kategorie zu wählen. Geld einwerfen, Griff drehen
(wie früher am Kaugummiautomat), und irgendwas fällt raus.
Da jeder ein Künstler ist (ich also auch), kann ich aus dem Inhalt etwas Schönes basteln. Ich finde eine Bodenplatte aus Holz, ein wenig Draht, zwei plüschige Bommel und 6 Sternchen. Beuys hätte
daraus was Tolles gemacht, jetzt darf ich probieren. Denn das einzige das fehlt, ist … na? …. richtig: eine Anleitung.
Ist das Ganze nicht zu schön, um wahr zu sein?
Ich fürchte ja. Denn immer wieder lese ich das Wort 'Zwischennutzung'. Also schaut es euch an, solange es noch steht!
Und das finde ich in der Umgebung:
Kunsttreff Halt 58
Kolumbusplatz
Der Kolumbusplatz war immer grau und trist und öde. Das weiß ich, weil ich vor 30 Jahren als kleiner Lehrling dort immer auf den Bus gewartet habe, um in meine graue Welt zu kommen, und dort an
einer Dreh- oder Fräsmaschine zu arbeiten (die ungelogen in dunkelgrau lackiert waren).
Mehrmals war heimwärts die U-Bahn auf unbestimmte Zeit verspätet, wegen „Personenschadens“ – und das dann immer Freitag nachmittags.
Wer aus östlicher Richtung zum Arbeitsamt muss, kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls hier vorbei. Das weiß ich, weil ich da auch schon vorsprechen durfte.
Und wo bitte soll da jetzt die Kunst sein?
Ja: ich war schon lange nicht mehr dort.
Denn unter der Brücke, auf der oben die Güterzüge über die vierspurige Straße rollen, ist unten jetzt Kunst. Zwei der Stützwände, die immer schön dunkelgrau waren, sind jetzt kreativ und farbig
verziert.
Und wo sonst der Krankenwagen immer stand, um den „Personenschaden“ zu bergen – ist jetzt die Attrappe einer S-Bahn-Außenwand, die farbig verschönert ist.
Vielleicht besteht ein Zusammenhang, zwischen Farbe, Kunst und weniger Personenschäden? Kann ja sein …
Die eine Konstante hier sind noch die Bürger in sozialen Schwierigkeiten, die sich unter der Brücke aufhalten. Für sie wurde bislang leider kein milliardenschweres Rettungspaket aufgelegt … (für
das ich meine Steuern aber sofort umleiten würde).
Die andere ist die Haltestelle der Buslinie 58, deren Namensähnlichkeit mit dieser kleinen Galerie nicht so ganz zufällig sein wird … Ich freue mich, dass es hier nun zumindest ein wenig
menschlicher aussieht. Warum nicht gleich so?
Fun Fact am Rande: meine theoretische Zwischenprüfung habe ich, zusammen mit allen anderen Feinmechaniker-Lehrlingen aus München und Umland, im Bierkeller am Nockherberg abgelegt. Weil es genug
Einzel-Sitzplätze für alle gibt, werden solche Prüfungen in München traditionell in Bierkellern absolviert. Kein Witz.
Fun Fact 2: die erste (und einzige) Betriebsversammlung, die ich als Lehrling besucht habe, fand ebenfalls in diesem Bierkeller statt. Dazu bekam jeder Gutscheine von der Firma: für 1
Brotzeitplatte, und 3 Halbe Bier. Das wurde damals als adäquat für einen Wochentags-Abend angesehen … (Wer mehr wollte, musste das selber zahlen. Aber die ersten 3 großen Bier gingen auf die
Firma ... Kein Witz.)
(1 Halbe = 1 halbe Maß = ein 0,5 Liter-Glas, alternativ auch in der Flasche).
Klein-Venedig
Am Auer Mühlbach entlang ist es lauschig: alte, kleine Häuser, es sieht aus wie in einem Dorf, der Verkehr scheint weit weg.
Klein ist es. Was es mit der Lagunenstadt auf sich hat (die bald für jedes Plätschwerwasser ihren Namen hergeben soll), bleibt mir fraglich.
(Nachforschungen ergeben: im Bach ist normalerweise Wasser drin. Wir waren in einer regenarmen / trockenen Zeit da, und haben nur ein Rinnsal gesehen).
ehem. S-Bahnhof Olympiastadion
(zwischen Riesstr. und B304, ein sog. "#lostplace")
Wer zum Olympiastadion möchte, nimmt die U3, das ist eine U-Bahn. Von da ist es noch ein ganzes Stück zu Fuß, weil das Stadion in einem Park ist.
Zur Olympiade 1972 gab es zusätzlich noch 3 S-Bahn-Linien, um den ganzen Ansturm an Leuten besser abwickeln zu können. Das waren damals Loks der Bahn, mit ein paar Waggons hinten dran. Von 3
Linien war 1 geblieben, und 1988 war dann Schluss. Seitdem steht die Station leer und ist sich selbst überlassen.
Botaniker freuen sich über nicht ganz so übliche Pflanzenarten, die dort wachsen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit stammen sie von den Küchen (Kräuter) und Balkonen der umliegenden Hochhäuser.
Die Gleise sind teilweise noch zu sehen. Dass es hier zwei Bahnsteige, mit insgesamt 4 Gleisen gab, ist heute schwer zu erahnen. Ein solcher „Lost Place“ mitten in München, das ist schon
ungewöhnlich.
Bitte Vorsicht bwz. Umsicht beim Besichtigen: das Gebäude ist mittlerweile bewohnt. Bitte nehmt Rücksicht auf die Bürger in sozialen Schwierigkeiten.
Quelle: Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnhof_M%C3%BCnchen_Olympiastadion
r.o.: schwer zu glauben: hier gab es mal 2 Bahnsteige mit 4 Gleisen. Die sind auch noch da, irgendwo ... überwuchert ... z.T. mit exotischen Pflanzen, vermutlich von den Küchen und Balkonen der umliegenden Hochhäuser ...
r.u.: da isser wieder, der Mermaid-Killer. Bei der Ruder-Regattastrecke habe ich ihn ebenfalls gefunden. Und weiß noch immer nicht, was es sein soll. Ein Game-Charakter? Ein Superheld? Weichspüler (der ins Meer fließt und die mermaids killt ...?)
l.u. bitte Rücksicht nehmen auf die hier wohnenden Bürger in sozialen Schwierigkeiten
Ich mache noch ein paar psychedelische Fotos, bevor wir nach Schwabing weiterfahren.
l.o. am Georg-Brauchle-Ring. Kontrastprogramm
r.o.: der Vorplatz des ehem. S-Bahnhofs
l.u.: schwer zu erkennen: die verschlungenen Wege des Straßenkreuzes am Olympiapark
Schwabing und Ausklang
Beim Verrückten Eismacher hinter der TU gibt es immer außergewöhnliche Eissorten (Krapfen, Weißbier, Schweinebraten, Torte, oder so ähnlich).
Dann ist die Zeit um: wir sind nicht mehr aufnahmefähig und müde geschlappt.
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ANHANG
l.o.: Blick vom Karolinenplatz
M.l.: U-Bahnhof Münchner Freiheit (aus Sicht eines Künstlers)
M.r.: ein guter Ort um seine Topfpflanzen zu entsorgen (?)
l.u.: nach langem Anlauf endlich die Genehmigung erhalten, und dann zerrissen? Oder von den Krähen zerfleddert? Wenn das nicht nach einer Story riecht?
Nachtrag Dez. 2021:
jetzt endlich habe ich aus der "Kunstkonserve", aus dem Automat des Gans Woanders, etwas gebastelt: eine Radaranlage.
Ein Kreativ-Radar.
Wer auch immer von euch Inspiration hat: ich finde sie, und sauge sie ihm ab ;-) Top.
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Nahe dem Kolumbusplatz hatte ich meine Lehre gemacht, durfte die Alte Welt noch kennenlernen.
All die Veränderungen in den 90ern hatten mich als Künstler fühlen lassen, um schließlich in die moderne Welt zu führen, in der wir heute leben.
Diese bewegte Zeit dürft ihr Revue passieren lassen, oder euch von den kurzen und kurzweiligen Stories unterhalten und evtl. inspireren zu lassen.
#Flash Fiction
#Achtsamkeit #lostplace